Die Carlshütte - das erste Eisenwerk im Dänischen Gesamtstaat
Vision des Holzhändlers Markus Hartwig Holler
Markus Hartwig Holler, geboren 1796 in Rendsburg, übernimmt im Alter von 20 Jahren das väterliche Holzgeschäft in Büdelsdorf. Das zur Festungsstadt Rendsburg benachbarte Büdelsdorf gehört zum Herzogtum Schleswig, und das wiederum zum Dänischen Gesamtstaat. Das gilt auch für das unmittelbar südlich angrenzende Herzogtum Holstein, das zugleich dem Deutschen Bund angehört.
Der Holzhandel erfüllt den weitblickenden Markus Hartwig Holler nicht. Er reist viel, etwa nach Schweden, besichtigt dort Hüttenwerke und Gießereien. Hiervon inspiriert möchte er vom Holz zum Eisen wechseln und setzt sich zum Ziel, eine Eisenhütte und Gießerei zu gründen. Seine Motivation ist es, etwas „Gemeinnütziges“ und „nie Dagewesenes“ zu schaffen.
Die Voraussetzungen sind vielversprechend. Der dänische Gesamtstaat verfügt über keine Industrie zur Eisenfabrikation. Der Rohstoff Eisenerz ist im Land in Form von Raseneisenerz vorhanden. Hierbei handelt es sich um Erze, die nicht im Bergbau gewonnen werden müssen, sondern an den Wurzeln des Grases vorkommen. Und Büdelsdorf liegt verkehrsgünstig, gleichsam zwischen Schleswig und Holstein am Nordufer des Eiderkanals, mit dem eine Verbindung von Nord- und Ostsee besteht.
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Die Hollers aus den Niederlanden
Die Familie Holler stammt ursprünglich aus den Niederlanden. Um 1700, oder sogar früher, siedeln sich ihre Vorfahren im Raum Itzehoe an. Holstein ist damals Zielland für viele holländische Aussiedler. Um 1780 werden die Hollers in Rendsburg ansässig, was mit dem Bau des Schleswig-Holsteinischen Canals – auch Eiderkanal genannt – zusammenhängt.
Der Kanalbau ist das größte Infrastrukturprojekt in Europa überhaupt, und der damals größte Kanal weltweit. Er ist der Vorläufer des heutigen Nord-Ostsee-Kanals. Die Brüder Hartwig und Johann Holler, eigentlich gelernte Zimmerleute, werden als Spezialisten für den Kanalbau anfordert. Die Hollers sind zuvor in Holland bei Deich- und Kanalbauten tätig, konstruieren Schleusen und Mühlen zum Betrieb von Entwässerungsanlagen. Die Schleusen sind Meisterwerke der Ingenieurskunst. Hartwig und Johann Holler beschaffen zudem die großen Holzmengen, die der Kanalbau erfordert und etablieren so einen einträglichen Holzhandel. Nach Fertigstellung des Eiderkanals 1784 behalten die Brüder dieses Geschäft.
Die niederländischen Wurzeln bleiben lange wichtig: Von Hartwig Hollers Sohn Markus Hartwig, der die Carlshütte gründet, ist überliefert, dass ihm zu Ehren an Festtagen auf der Carlshütte die niederländische Nationalhymne gespielt wird. Er erhebt sich dann stets und zieht seinen Hut.
Carl von Hessen – Namensgeber der Carlshütte
Markus Hartwig Holler benötigt eine Genehmigung – ein „Privileg“ – für seine Eisenhütte und Gießerei. Er findet einen Förderer der Unternehmensgründung in Landgraf Carl von Hessen, dem Statthalter des dänischen Königs in den Herzogtümern Schleswig und Holstein. Carl von Hessen ist vielseitig interessiert: an Kultur und Wissenschaft, insbesondere an industriellen Unternehmungen. Er begleitet Hollers Projekt auch ideell und politisch. So räumt der Statthalter Schwierigkeiten mit der Rendsburger Festungskommandantur aus, die Einwände gegen die geplante Industrieanlage in unmittelbarer Nähe zur Festung erhebt.
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Grundsteinlegung und Errichtung 1827 und erstes Gusseisen 1828
Die Carlshütte wird auf dem bisherigen Lagerplatz der Holzhandlung errichtet. Das Terrain ist unbebaut und in der Umgebung leicht zu erweitern. Den Grundstein legt Hollers Ehefrau am 19. April 1827 – an diesem Tag wird später jedes Jahr festlich der Hüttentag begangen. Die Eisenhütte ist der erste Industriebetrieb auf der jütischen Halbinsel überhaupt, also im gesamten Gebiet nördlich der Elbe und das erste Eisenwerk im dänischen Gesamtstaat. Am 23. Januar 1828 wird erstmals Eisen gegossen, noch aus einem kleinen Schmelzofen. Es sind bereits 80 bis 90 Arbeiter in der Carlshütte tätig.
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Vom Hüttenbetrieb zur Gießerei
Die Verwendung von Raseneisenerz erweist sich als unrentabel. Sein Eisengehalt von maximal 20 bis 30 Prozent ist zu gering, Versuche mit Zuschlägen anderer Erzsorten fruchten wenig. Der Einsatz des gängigen Energieträgers Holzkohle ist ebenfalls problematisch. Die jährlich benötigten bis zu 40.000 Tonnen sind in Schleswig und Holstein nur teuer zu beschaffen. So kommt der Betrieb des neuen Hochofens der Carlshütte nie richtig in Gang, die namensgebende Verhüttung von Erzen endet noch in den 1830er Jahren. Die Carlshütte wird zum Gießereibetrieb mit angeschlossenen Werkstätten.
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Proteste der Rendsburger
1835 beschweren sich lokale Handwerker und Kaufleute. Der Hochofen der Carlshütte rauche nicht, Hollers Fabrik sei gar kein Hüttenbetrieb. Dies sind nur oberflächliche Kritiken, handfest ist aber, dass das Gießereigeschäft, zu dem Werkstätten aller Art gehören, wettbewerbsverzerrend sei. Rendsburger Betriebe könnten gegen den von der Landesregierung privilegierten, zoll-, zunftzwang- und militärpflichtbefreiten, industriellen Mischbetrieb nicht bestehen. Doch Markus Hartwig Holler entkräftet die Vorwürfe, indem er die gesamtwirtschaftlichen Vorteile betont. Mit der Prosperität der Carlshütte sei ein Aufschwung für Rendsburg und die Region verbunden, so Holler.
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Die Carlshütte im Ersten Schleswig-Holsteinischen Krieg
Eine werkseigene Schiffswerft wird 1847 an der Eider errichtet, was ein Zeichen der weiteren unternehmerischen Dynamik ist. Doch 1848 kommt es zum Krieg zwischen Dänen und Schleswig-Holsteinern über die Zugehörigkeit der Herzogtümer zu Dänemark oder deren Eigenständigkeit. Die Festung Rendsburg ist der strategische Dreh- und Angelpunkt, weshalb auch die Carlshütte unmittelbar durch Kampfhandlungen gefährdet ist. Die Carlshütte wird vorsorglich für einige Monate stillgelegt und Holler lässt Gießmodelle sichern, in dem sie vergraben oder auf Schiffe verladen werden. Die Festung wird tatsächlich am Morgen des 24. März von schleswig-holsteinischen Truppen eingenommen, ohne dass es zu Kriegsschäden in der Stadt und Umland kommt. Rendsburg ist für einige Monate Sitz der Provisorischen Regierung. Im Laufe der nächsten Kriegsjahre gewinnen dänische Truppen die Oberhand. 1850 ist die Carlshütte ernstlich bedroht, ein Befehl zum Beschuss Rendsburgs und damit auch der Carlshütte ist schon erlassen, wird aber letztlich nicht mehr ausgeführt.
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Während des Krieges kommt dem bayrischen Unteroffizier Wilhelm Bauer – bayerische Truppen sind auf Seiten des Deutschen Bundes am Krieg beteiligt – die Idee, die dänische Schiffe und Brücken mittels eines „unter dem Niveau des Wassers bewegbaren Apparates“ zu zerstören.
Auf der Carlshütte werden 1850 einige Teile für das erste deutsche Unterseeboot der Welt – den Brandtaucher – gebaut. Das U-Boot erhält den Namen , weil es feindliche Schiffe und Hafenanlagen unter Wasser angreifen und in Brand setzen sollte. Es wird auch Eiserner Seehund genannt. Die Konstruktion wird dann in Kiel fortgesetzt und fertigstellt. Der Brandtaucher gilt als Vorläufer des modernen U-Bootes
[Bild U-Boot]
Dampfkessel, Dampfmaschinen und Dampfschiffe
Nach Ende des Krieges 1851 nimmt der Gießereibetrieb der Carlshütte wieder einen Aufschwung. Die Produkte haben einen ausgezeichneten Ruf. Für den Haushalt werden Pfannen, Töpfe, Kannen, Dreifüße, Küchenausgüsse, Mörser und Öfen gefertigt, für den Gewerbebedarf Ambosse, Wasserrohre, Tür- und Fensterrahmen. Die Landwirtschaft wird mit Pflügen, Eggen, Drill- und Sämaschinen, Erntemaschinen sowie Krippen und Tröge für die Viehhaltung versorgt. Hinzu kommen Materialien für den Schiffbau, auch Gartengeräte, Friedhofskreuze und Gitter. Es wird auch Munition hergestellt. 1861 wird mit der Produktion von Dampfkesseln und Dampfmaschinen begonnen, mit denen zahlreiche Betriebe Norddeutschlands ausgerüstet werden. Die Carlshütte wird dadurch selbst zum Motor der Industrialisierung.
Der Deutsch-Dänische Krieg 1864, der auch Zweiter Schleswig-Holsteinischer Krieg genannt wird, hat direkt wenig Einfluss auf die Carlshütte, schon weil er von relativ kurzer Dauer ist. Doch leitet er die Eingliederung Schleswigs und Holsteins nach Preußen bzw. in das Deutsche Reich ein, was wirtschaftlich weitreichende Konsequenzen für die Gießerei hat. 1867 läuft das fünfte Dampfschiff auf der Werft der Carlshütte vom Stapel. Zwei Jahre später wird die Carlshütte eine Aktiengesellschaft.
Die Carlshütte in der Gründerkrise
Das Deutsche Reich wird 1871 nach dem Sieg im Einigungskrieg gegen Frankreich gegründet. Mit dem Kapitalzufluss französischer Reparationszahlungen und wegen der allgemeinen Einheits-Euphorie erlebt die deutsche Wirtschaft einen Boom. Doch viele Firmengründungen sind spekulativ, die Konjunktur ist überhitzt. 1873 krachen die Börsen ein. Damit endet die sogenannte Gründerzeit für das junge Deutschen Reich. Dem Zusammenbruch folgt eine jahrelange Stagnation, die dem gerade erst triumphierenden Wirtschaftsliberalismus schadet. Zunehmend greift der Staat regulierend ein, etwa ab 1877 mit massiver Schutzzollpolitik. Die Carlshütte ist in Norddeutschland Branchenführerin in Sachen Eisen, mit der Eisengießerei gar an dritter Position in ganz Deutschland. Die Auftragsbücher sind 1877 voll und das 50-jährige Jubiläum wird groß gefeiert. Doch das Folgejahr 1878 hat es dann in sich: Die Umsätze brechen dramatisch ein, die Beschäftigtenzahl sackt von rund 700 auf 420, Lohnkürzungen und Kurzarbeit sind die Folge.
Der erste Ahlmann auf der Carlshütte
1883 wird Johannes Ahlmann neuer kaufmännischer Direktor und Geschäftsleiter der Carlshütte. Er entstammt einer dänischen Kaufmannsfamilie und kennt die Carlshütte von Kindheit an, weil sein Vater seit 1840 mit der Gießerei geschäftlich verbunden ist. Er vertreibt die Produkte der Carlshütte nach Skandinavien. Johannes Ahlmann reorganisiert nicht nur die Finanzverwaltung, sondern führt auch neue Produkte ein, etwa Milchzentrifugen mit dem Namen „Balance“ und Dauerbrandöfen. 1886 nimmt die Carlshütte die Herstellung von Badewannen auf, deren Bedeutung für das Werk sich erst einige Jahre später zeigte. Unter Ahlmann beginnt man zu „reisen“. Das heißt, dass ein Vertrieb aufgebaut wurde, zu dessen Gepflogenheiten es gehörte, die Kundschaft zu besuchen.
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Badewannen und Kaiser-Wilhelm-Kanal
Es sind vor allem Badewannen, die zum Erfolg werden. Der Bedarf steigt von Jahr zu Jahr im Zuge einer regelrechten Hygienewelle, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ganz Europa erfasst und mit neuen Vorstellungen vom Körper und von Reinlichkeit einhergeht. Mit den Wannen aus Gusseisen und Emaille-Veredelung werden die Carlshütte und ihr Markenzeichen mit „Schlägel und Eisen“ weltbekannt. Für den Export – kaum ein Land, das nicht Abnehmer von Badewannen ist – ist von ungeheurer Bedeutung, dass 1895 der Kaiser-Wilhelm-Kanal, später Nord-Ostsee-Kanal, eröffnet wird. Jetzt ist die Carlshütte unmittelbar mit den Weltwasserstraßen verbunden. Seegehende Schiffe können direkt anlegen und beladen bzw. entladen werden.
Innerbetrieblich ist Johannes Ahlmann am Beginn des 20. Jahrhunderts der verantwortungsbewusste Firmenpatriarch, lässt Werkswohnungen und ein Feierabendheim bauen und sorgt für die Beschaffung preisgünstiger Nahrungs- und Konsumgüter. Um 1910 sind weit über 1.000 Arbeiter in der Carlshütte beschäftigt.
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Die zweite Generation Ahlmann
Anfang 1919 wird Johannes‘ Sohn Julius Hans Ahlmann kaufmännischer Direktor der Carlshütte. Er muss Rückschläge hinnehmen. So verwüstet 1922 ein Brand einen Großteil der Fabrik. Nach der Währungsreform 1923 sinken die Absätze, die Carlshütte geht in Kurzarbeit. 1925 verlässt der technische Geschäftsführer Rudolph Meyn nach harten Auseinandersetzungen mit Julius Ahlmann das Unternehmen. Seit über 60 Jahren sind drei Generationen Meyn in der Carlshütte technische Leiter.
Jetzt führt Julius Ahlmann das Werk allein, er modernisiert den Betrieb. Neue Prozesse und Maschinen werden eingeführt, das Marketing erstmals intensiviert. Das Unternehmen expandiert wieder. Ab dem Jubiläumsjahr 1927 werden mehr als eine Millionen Reichsmark investiert. Es entstehen eine weitere Gießerei, ein neuer Emaillierbetrieb für Wannen sowie Lager- und Verladebereiche. Östlich des Werkes wird Erweiterungsfläche angekauft.
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Neu im Programm ab 1930: Gusseiserne Waschbrunnen
Die Belegschaft erreicht 1930 mit 1.420 Beschäftigten einen neuen Höchststand. Doch die Weltwirtschaftskrise bremst die erfolgreiche Entwicklung der Carlshütte ab. Neue Produkte werden trotzdem lanciert, so 1930 ein Waschbrunnen aus emailliertem Gusseisen. Anfangs ist der Waschbrunnen noch kein Verkaufsschlager, aber die Neuheit wird sich als wegweisend für das spätere Sanitärprogramm der Carlshütte erweisen. Sie werden auch in der Produktpalette der Severin Ahlmann Betonindustrie eine wichtige Rolle spielen.
[Bild Waschbrunnen]
Käte Ahlmann übernimmt
Im Jahr 1931 stirbt Julius Ahlmann. Auf seinen Wunsch übernimmt seine Witwe Käte Ahlmann, geborene Braun, die Leitung der Carlshütte. Finanziert durch Kredite gelingt es Käte Ahlmann 1937 gemeinsam mit Ihrem Schwiegervater, die übrigen Aktionäre der Carlshütte auszuzahlen und die Carlshütte so von einer an der Hamburger Börse notierten Aktiengesellschaft in eine im alleinigen Familienbesitz befindliche Kommanditgesellschaft umzuwandeln. Die Carlshütte wird so zu einem Familienunternehmen der Ahlmanns.
Einsatz von Austauschrohstoffen und Rüstungsproduktion im Zweiten Weltkrieg
1937 werden in der Carlshütte erstmals wegen verordneter Eiseneinsparungen Austauschrohstoffe verwendet, unter anderem Asbestzement. Das ist der Nucleus, aus dem später ACO entsteht. Die Einsparungen betreffen unter anderem den Waschbrunnen der Carlshütte. Er wird aufgrund der Metallreglementierungen aus Terrazzo gefertigt. Mittlerweile wird der Brunnen in hohen Stückzahlen verkauft. Hilfreich ist, dass ihn das Amt „Schönheit der Arbeit“ der Deutschen Arbeitsfront auf Ausstellungen präsentiert. Der Waschbrunnen passt zum jährlich wechselnden Motto der DAF, das 1937 lautet: „Saubere Menschen im sauberen Betrieb“. Die Ahlmann-Carlshütte KG, wie das Unternehmen seit 1941 heißt, stellt mehr und mehr auf Kriegsproduktion um. Ab Frühjahr 1942 fertigt das Werk Tragflächen für die Junkers Ju 87, den Sturzkampfbomber, kurz „Stuka“. Weitere Rüstungsgüter sind Granathülsen. Die Umsätze steigen, auch die Belegschaftszahlen. Bis zu 3.500 Menschen sind beschäftigt, darunter etwa 1.000 Zwangsarbeiter vieler Nationalitäten.
[Bild Stuka]